Paperless Trade - KPMG Deutschland (2024)

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Rechtlicher Rahmen und technische Möglichkeiten für die digitale Handelsfinanzierung

Rechtlicher Rahmen und technische Möglichkeiten für die digitale Handelsfinanzierung

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Article Posted date23 May 2024

In einer Welt, die zunehmend digitalisiert wird, ist der Handel keine Ausnahme. Insbesondere im Bereich des Trade Finance (v. a. Garantien und Akkreditive) haben Technologie und Innovation eine transformative Wirkung. Der Übergang zu einer papierlosen Handelsabwicklung ist ein wesentlicher Schritt, der die Effizienz steigert, Kosten senkt und die Transparenz verbessert. Im Bereich der Garantien und Akkreditive ist auch heute allerdings noch oftmals Papier der Informationsträger Nr. 1 und der Begriff Digitalisierung wird, sofern angewendet, in sehr unterschiedlichen Ausprägungsgraden vorgefunden. Umso interessanter ist die Frage, welcher Grad an Digitalisierung bereits heute im Trade Finance Bereich möglich ist – Stichwort Paperless Trade.

Nachfolgend werden von uns daher neben den juristischen Aspekten (gemäß den gängigen Regelwerken der internationalen Handelskammer) auch die technischen Aspekte genauer beleuchtet.

Zur juristischen Einordnung von Paperless Trade

Digitale Avale

  • Digitale Bürgschaften (Sureties)
    Beginnen wir mit Bürgschaften und Garantien. Unter Bürgschaft wird nach deutschem Rechtsverständnis i.S.d. § 765 Abs. 1 BGB ein Vertrag verstanden, durch den sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen. Die Besonderheit der Bürgschaft liegt in der Akzessorietät der Hauptforderung. Das bedeutet, dass die Bürgschaft selbst mit der Hauptforderung steht und fällt. Sobald die Hauptforderung erfüllt wurde, erlischt zugleich auch die Forderung aus dem Bürgschaftsvertrag gegen den Bürgen.
    Gemäß § 766 S. 1 BGB bedarf eine Bürgschaft der Schriftform. § 766 S. 2 BGB verbietet ausdrücklich die elektronische Form. Diese Vorschrift gilt jedoch allein im B2C-Geschäft. Im kaufmännischen Geschäftsverkehr wird diese strenge Schriftformerfordernis durch § 350 HGB abgewandelt, der es Kaufleuten im Sinne des HGB erlaubt, jede Form, also auch die elektronische, zu verwenden.
  • Digitale Garantien (Guarantees)
    Genau diese strenge Akzessorietät fehlt bei den Garantien. Durch den Garantievertrag verpflichtet sich der Garant ebenso, für die Forderung eines Dritten einzustehen. Jedoch erlischt die Pflicht des Garanten zur Zahlung nicht automatisch mit Erfüllung der Hauptforderung. In der Praxis sind Garantien auf erstes Anfordern (demand guarantees) üblich. Dabei verpflichtet sich der Garant, auf die Behauptung hin, der Garantiefall sei eingetreten (das sogenannte Erste Anfordern), zu zahlen. Die die Zahlungspflicht des Garanten auslösende Behauptung des ursprünglichen Garantienehmers oder Zessionars, der Garantiefall sei eingetreten, muss in der im Garantievertrag vorgeschriebenen Form, Sprache und Formulierung und damit garantiekonform erfolgen. Dabei spielen eine Vielzahl von Dokumenten eine große Rolle, die im Falle des ersten Anforderns vorgelegt werden müssen. International vereinheitlicht geregelt werden diese Garantien auf erstes Anfordern durch die „Uniform Rules for Demand Guarantees, kurz URDG 758“ der Internationalen Handelskammer.
    Die URDG 758 lassen in doppelter Hinsicht den Einsatz elektronischer Dokumente zu. Zum einen kann das Garantieversprechen, also die Garantie selbst, auch in elektronischer Form erstellt werden. Dies folgt aus dem Zusammenspiel des Definitionspaars „Garantie“ („guarantee“) und „unterzeichnet“ („signed“) i.S.d. Art. 2 URDG 758. Garantie bezeichnet demnach jede wie auch immer benannte oder bezeichnete unterzeichnete Verpflichtung zur Zahlung nach Vorlage einer konformen Anforderung. Unterzeichnet meint in Bezug auf ein Dokument, eine Garantie oder Gegengarantie, dass ein Original vom oder für den Aussteller unterzeichnet ist, und zwar durch elektronische Unterschrift, die von der Partei authentisiert werden kann, der dieses Dokument, diese Garantie oder Gegengarantie vorgelegt wird, oder handschriftlich, durch Faksimile-Unterschrift, perforierte Unterschrift, Stempel, Symbol oder andere mechanische Methode. Diese Form erstreckt sich auch auf die Anforderung der Garantie i.S.d. Art. 15 lit. a) URDG 758.
    Daneben stellt Art. 14 lit. c) URDG 758 dar, dass die Dokumentenvorlage mittels elektronischer Dokumente erfolgen kann. Dafür sollte allerdings zuvor das konkrete Format der elektronischen Dokumente bestimmt werden, um Probleme bei der Vorlage zu vermeiden.

Digitales Akkreditiv (Letter of Credit)
Im Akkreditivgeschäft haben sich die UCP 600 („Uniform customs and practice for documentary credits“) der ICC als das Standardregelwerk etabliert. Diese sind durch die eUCP v. 2.1 erweitert worden. Die eUCP sind bewusst als bloße Ergänzung ausgestaltet worden. Es sollte gerade kein neuartiges Instrument geschaffen werden, sondern das bestehende Akkreditiv um den Einsatz elektronischer Dokumente erweitert werden. Die eUCP finden dann Anwendung, wenn im Akkreditiv deren Geltung ausdrücklich vermerkt wurde (Art. e1 eUCP). Das bedeutet jedoch nicht, dass im späteren Verlauf auch elektronische Dokumente vorgelegt werden müssen. Es ist auch weiterhin zulässig, dass nur Papier vorgelegt wird oder sogar eine „Mixed Presentation“ aus Papier und elektronischer Aufzeichnung erfolgt.

Fazit
Aus juristischer Perspektive ist der Einsatz von Garantien und Akkreditiven bereits heute vollständig digital abbildbar, so dass keine papierbehaftete Form mehr als notwendig erachtet wird.

Zur technischen Einordnung von Trade Finance und Paperless Trade

Die Digitalisierung von Garantien und Akkreditiven ist ein sehr inhom*ogenes Feld und hängt stark von den Vertragspartnern ab. Generell setzt sich der Digitalisierungsgrad hauptsächlich aus den nachfolgenden vier Schritten zusammen:

Beantragung einer Garantie/eines Akkreditivs
Der erste Schritt ‒ nach erfolgreicher Abstimmung der Konditionen zwischen den Vertragsparteien ‒ ist der Beantragungsprozess des Instruments innerhalb eines Unternehmens. Hierbei reicht der Umfang von der Antragstellung über die Antragsfreigabe bzw. Überarbeitung des Antrags innerhalb des Unternehmens bis hin zur Kommunikation an die Bank. Sämtliche Schritte vor der Kommunikation an die Bank erfolgen heute oftmals über einen oder eine Kombination der nachfolgenden Wege:

  • Papierbehaftete Umläufe
  • Telefon
  • Chat
  • E-Mail
  • Trade Finance Systeme

Kommunikation mit der Bank
Die Kommunikation mit der Bank bzw. einem Finanzinstitut ist der nächste Schritt, nachdem der Garantie-bzw. Akkreditiv-Antrag innerhalb des Unternehmens final freigegeben wurde. In diesem Prozessschritt verlässt der Antrag das Unternehmen und wird von einer externen Partei weiterverarbeitet. Die Kommunikation erfolgt üblicherweise via:

  • Telefon
  • E-Mail
  • Digitalen Kommunikationskanälen, wie zum Beispiel SWIFT

Ausstellung einer Garantie/eines Akkreditivs
Nach der Übermittlung des Antrags an die Bank bzw. das Finanzinstitut erfolgt dort die Bearbeitung und Ausstellung der Urkunde bzw. entsprechender Dokumente. Dies umfasst auch das Versenden der Originalurkunde an den Begünstigten. Dieser Versand erfolgt gewöhnlich über einen der nachfolgenden Wege:

  • Papier via Post / Kurier
  • Digitale Kommunikationskanälen, wie zum Beispiel SWIFT

Management des Bestands
Nachdem die Garantie bzw. das Akkreditiv erfolgreich ausgestellt wurde und dem Begünstigten vorliegt, beginnt das Bestandsmanagement auf beiden Seiten. Der Schuldner einer Garantie hat hierbei unter anderem das Ziel, nur für ausgestellte und nicht gezogene Garantien die anfallenden Gebühren zu begleichen. Für den Begünstigten einer Garantie ist hingegen relevant, wann eine Garantie an Gültigkeit verliert und wie er diese, im Fall des eintretenden Garantieereignisses, ziehen kann. Die zentralen Bestandteile bei der Verwaltung von Akkreditiven stellen damit die Gebühren und die Möglichkeiten (Art und Weise) dar, wie die erforderlichen Dokumente verwaltet werden.

Zum Management des Bestands, der Gebühren und der Fälligkeiten werden oftmals die nachfolgenden Möglichkeiten genutzt:

  • Papierbasierte Ablagestrukturen
  • MS Excel
  • Treasury Management Systeme
  • ERP-Systeme
  • Trade Finance Systeme

Fazit
Für sämtliche der oben genannten Schritte gibt es bereits heute Möglichkeiten diese vollständig zu digitalisieren. Prädestiniert hierfür sind oftmals eigene Trade Finance Systeme, welche sämtliche oben dargestellten Schritte des Workflows (von der Beantragung über die Ausstellung bis zum Management) abbilden können. Zudem gibt es auch bei vielen Treasury Management Systemen die Möglichkeit einzelne Aspekte abzubilden.

Bei der vollständigen Digitalisierung von Garantien und Akkreditiven sprechen wir von Paperless Trade.

Hierbei gibt es einige Herausforderungen zu beachten, welche oftmals im Zusammenhang mit Paperless Trade auftreten können. Nachfolgend sind einige der häufigsten Herausforderungen, welche nach Berücksichtigung der obenstehenden rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen genannt werden, aufgezeigt:

  • Standardisierung von Datenformaten
    Die Standardisierung von Datenformaten ist ein wesentlicher Aspekt, um sicherzustellen, dass digitale Garantien und Akkreditive von verschiedenen Systemen problemlos verarbeitet und Inkonsistenzen vermieden werden können.
  • Interoperabilität
    Wichtig ist ferner der einwandfrei funktionierende, nahtlose Austausch von Daten zwischen den verschiedenen Systemen, beispielsweise auf Unternehmens- und auf Bankenseite
  • Akzeptanz und Vertrauen
    Das Vertrauen aller involvierten Marktakteure und die Akzeptanz in Paperless Trade ist einer der Hauptfaktoren, wodurch digitale Garantien und Akkreditive zum Standard werden können. Hierbei ist insbesondere die breite Akzeptanz der Vorgänge, der eingesetzten Systeme und der Sicherheitsmechanismen sowohl auf Seite der Antragssteller, der Begünstigten und der Banken erforderlich.

Der Einsatz von Paperless Trade bietet neben den eben genannten Herausforderungen auch eine Vielzahl von Vorteilen, die den Handel effizienter, sicherer und transparenter machen. Die prägnantesten Vorteile sind:

  • Zeitersparnis
    Die Digitalisierung von Garantien und Akkreditiven ermöglicht eine signifikant schnellere Abwicklung der Transaktionen. Durch die elektronische Übertragung von Dokumenten und Daten wird eine sofortige Bearbeitung ermöglicht und die Zeit, die für den Austausch von papierbehafteten Dokumenten benötigt wird, deutlich reduziert.
  • Erhöhte Flexibilität
    Durch die Nutzung von Paperless Trade sind die involvierten Parteien nicht mehr an Fristen und Lieferzeiten von Kurieren gebunden und können so rund um die Uhr Transaktionen beantragen und bearbeiten. Auch können Transaktionen schnell angepasst werden, sofern sich die Bedingungen ändern sollten.
  • Kostenersparnis
    Die Nutzung von digitalen Garantien und Akkreditiven kann zu signifikanten Kosteneinsparungen führen. Durch das nicht mehr notwendige Drucken und Versenden von Papierdokumenten werden gleich mehrere Kostenarten eingespart.
  • Erhöhte Transparenz
    Der Einsatz von digitalen Garantien und Akkreditiven führt auf Seiten aller Beteiligter zu einer erhöhten Transparenz. So können alle relevanten Informationen und der aktuelle Status von den involvierten Parteien jederzeit eingesehen und Auffälligkeiten umgehend behoben werden.

Fazit
Sowohl technisch als auch juristisch ist es bereits heute möglich Garantien und Akkreditive digital und sogar papierlos abzuwickeln. Sofern die oftmals bereits vorhandenen, aber noch nicht genutzten technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden und die Anzahl der überzeugten Marktteilnehmer wächst, wird Paperless Trade mehr und mehr Einzug in die Handelsfinanzierung halten. Die Vorteile von vollständig digital abgebildeten Garantien und Akkreditiven sind bereits heute ausschlaggebende Argumente, sich mit dem Thema zu beschäftigen und die Weichen für eine digitale Gegenwart der Handelsfinanzierung zu stellen.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 143, Mai 2024
Autoren:
Nils Bothe Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Maximilian Gschoßmann, Manager, Finance and Treasury Management, CorporateTreasury Advisory, KPMG AG
Gastautor:
Rechtsanwalt Dr. David Saive, LL.M., Geschäftsführender Gesellschafter der Tug & Tow® UG (haftungsbeschränkt)

Nils A.Bothe Partner, Financial Services, Finanz- und Treasury ManagementKPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

+49 711 9060-41238 Nils A.BotheTelefonnummer

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