Bericht zu chinesischen Designbabys: kein Durchbruch! (2024)

Ein Jahr nach der Geburt der weltweit ersten Designerbabys publiziert die «MIT Technology Review» einen brisanten Bericht. Dieser zeigt anhand eines Originaldokuments, wie skrupellos der chinesische Forscher He Jiankui bei seinem umstrittenen Menschenexperiment vorging.

Alan Niederer

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Was die amerikanische Zeitschrift «MIT Technology Review» am Dienstag auf ihrer Website veröffentlicht hat, ist starker Tobak. Demnach dürfte der chinesische Biophysiker He Jiankui bei seinem Versuch, die weltweit ersten genmanipulierten Babys herzustellen, noch mehr wissenschaftliche, ethische und legale Grenzen überschritten haben, als bisher bekannt war. Das Magazin beruft sich auf Hes bisher unveröffentlichten Forschungsbericht, der dem Magazin von einer nicht genannten Quelle zugespielt wurde. Auszüge daraus sind auf der Website erstmals einsehbar. Zudem hat die Zeitschrift mit namhaften Wissenschaftern über das Manuskript gesprochen.

Die vor gut einem Jahr geborenen Designerbabys mit den Pseudonymen Lulu und Nana waren durch künstliche Befruchtung gezeugt worden. Dabei ist das sogenannte Crispr/Cas-Verfahren zur Erbgutveränderung zum Einsatz gekommen. He erklärte im November 2018, er habe mit der Genschere die DNA des Zwillingspaars so verändert, dass die beiden Mädchen vor einer HIV-Infektion geschützt seien.

Nicht die richtige Genmutation erzeugt

Der Bericht in der «MIT Technology Review» stellt den Erfolg des von He als medizinischen Durchbruch gefeierten Experiments allerdings grundsätzlich infrage. Die Analyse des 4699 Wörter langen Manuskripts, in dem der Forscher seine Methode und die Ergebnisse beschreibt, bestätigt, was viele Experten bereits vermutet hatten: Die Gentherapie war alles andere als erfolgreich.

Wie Hes Manuskript mit dem Titel «Birth of Twins After Genome Editing for HIV Resistance» festhält, wurde bei den Kindern nicht jene Mutation erzeugt, welche die Träger nachweislich immun gegen HIV macht, sondern eine Veränderung, die der sogenannten «CCR5Delta32»-Mutation lediglich ähnlich sehe.

Es bleibt Hes Geheimnis, weshalb er schreibt, es sei dem Team gelungen, eine bekannte Mutation in einem Gen namens CCR5 zu erzeugen. Dass die protokollierten Daten nicht den vollmundigen Behauptungen entsprechen, werten die von der «MIT Technology Review» befragten Experten als besonders gravierendes Problem bei Hes Genexperiment. Einer spricht sogar von bewusster Lüge.

Moniert wird zudem, dass Hes Team die beiden Embryos der Mutter implantierte, ohne vorher die behauptete Wirkung der Mutation getestet zu haben. Das ist wissenschaftlich wie auch ethisch unverantwortbar. Laut den Experten wäre die Überprüfung mit bekannten Standardverfahren möglich gewesen. Dazu hätten die Forscher die bei den Kindern verursachte Mutation in einem Laborexperiment bei Immunzellen wiederholen müssen. Danach hätten sie HI-Viren zu den Immunzellen gegeben. Überleben die Zellen in Gegenwart der Erreger, bewirkt die Mutation einen Immunschutz; sterben die Zellen dagegen ab, lässt sich die Behauptung nicht aufrechterhalten.

Unerwünschte Mutationen sind nicht auszuschliessen

Ein weiteres Problemfeld in Hes Arbeit sind mögliche unerwünschte Auswirkungen auf das Erbgut der Mädchen. In der Fachsprache wird von Off-Target-Effekten gesprochen. In Hes Manuskript steht dazu, dass der eine Embryo keine solchen Off-Target-Mutationen gezeigt habe; bei dem andern sei es zu einer möglicherweise unerwünschten Veränderung gekommen, diese habe aber keine Auswirkungen auf bekannte Gene.

Zu dieser Interpretation sagen die befragten Experten, dass es technisch nicht möglich sei, nachzuweisen, dass ein Embryo keine Off-Target-Mutationen habe. Denn dafür müsste man den Embryo zerstören. Dies deshalb, weil die gewünschten wie auch die unerwünschten Effekte der Gentherapie nur einen Teil der Zellen betreffen können.

Besonders problematisch dürfte auch die Art und Weise gewesen sein, wie die Eltern von Lulu und Nana über die Gentherapie informiert worden sind. Laut der «MIT Technology Review» könnten die Eltern ihr Einverständnis aus den falschen Gründen und unter Druck gegeben haben. In China ist es nämlich verboten, bei einem von HIV betroffenen Paar eine In-vitro-Fertilisation durchzuführen. Da der Vater der Kinder HIV-positiv ist, war das Paar auf die Gunst der Wissenschafter angewiesen. Diese mussten einen Weg finden, das Gesetz zu umgehen. Zudem war, wie Hes Manuskript festhält, das Spermium des Mannes vor der Befruchtung der Eizelle der üblichen Waschprozedur unterzogen worden. Damit wird eine Virusübertragung ausgeschlossen. Somit war das Crispr/Cas-Verfahren nicht, wie in den Medien zunächst kolportiert wurde, zum Schutz der Kinder notwendig.

Auch ein Jahr nach Bekanntwerden ist der Fall des chinesischen Genexperiments noch weit davon entfernt, vollständig durchleuchtet zu sein. Das zeigt sich etwa daran, dass die Öffentlichkeit bis heute nicht weiss, wie es den beiden Mädchen gesundheitlich geht. Auch über den Aufenthaltsort von He ist nichts bekannt. Stossend ist zudem, dass viele an dem Experiment beteiligte Ärzte – wie Reproduktionsmediziner und Geburtshelfer – als Autoren auf Hes Forschungsbericht fehlen.

Diese Verschleierung – auch der Geburtsmonat der Kinder wurde offenbar falsch angegeben – könnte eine Massnahme zum Schutz der Anonymität der betroffenen Eltern und Kinder sein. Die von der «MIT Technology Review» angefragten Experten können sich aber auch vorstellen, dass die involvierten Mediziner schlicht nicht wussten, dass da ein Experiment am Laufen war.

Denn wie die Reproduktionsmedizinerin Jeanne O'Brien in dem Bericht sagt, braucht es dafür nur einen willigen Embryologen, der die Crispr/Cas-Schere in die Zellen inji*ziert – und niemand sonst muss davon etwas erfahren. «Das ist ein Weckruf für alle in der Reproduktionsmedizin tätigen Ärzte», so O'Brien. Umso wichtiger wäre es, dass der Skandal um He Jiankui und seine Helfershelfer lückenlos aufgearbeitet wird. Der Bericht in der «MIT Technology Review» macht allerdings keine allzu grossen Hoffnungen.

Der Erschaffer der genveränderten Babys hat sein eigenes Wertesystem He Jiankui ist promovierter Physiker. Doch er schreckt nicht davor zurück, an menschlichen Embryonen zu forschen, Babys austragen zu lassen und seine eigene Ethik zu formulieren.

Lena Stallmach

Gen-Experimente an Babys in China waren illegal Der chinesische Wissenschafter, der im November die weltweit erste Geburt genmanipulierter Babys verkündete, hat nach Angaben der chinesischen Regierung allein und illegal gehandelt. He Jiankui habe zudem ein weiteres Designerbaby geschaffen, bestätigten chinesische Behörden.

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